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Produktmanagement und QA/RA – Sparringpartner in Sachen Produktqualität

Nachlese und Zusammenfassung zum PRODUCT LOUNGE MEETUP #7 am 27. Juli 2021 über die Schnittstelle zwischen Produktmanagement, Quality Assurance und Regulatory Affairs

Das Produktmanagement kennt viele Schnittstellen zu anderen Unternehmensbereichen. Die ersten, die einem so in den Sinn kommen, sind Entwicklung, Marketing und Vertrieb. Die Schnittstelle zu Quality Assurance und Regulatory Affairs (QA/RA) wird viel zu häufig völlig unterschätzt und damit leider vernachlässigt. Dabei ist sie superwichtig, fast wichtiger als die Schnittstelle zur Projektleitung. Denn QA/RA kann dir als Produktmanager*in bei deinem Hauptziel – erfolgreiche Produkte auf den Markt bringen – eine wesentliche Stütze sein.

Als Produktmanager*in hast du die Anforderungen der Kunden und Anwender im Fokus. Du sammelst sie, analysierst sie und bringst sie ins Unternehmen ein. Im regulierten Umfeld wie z.B. der Medizintechnik, der Luft- und Raumfahrt, aber auch im Maschinenbau oder bei allem, was irgendwie elektrisch ist, sind dir zusätzlich auch gesetzliche und regulatorische Anforderungen ein Begriff. Um diese kümmern sich meistens die Kollegen aus der QA/RA Abteilung: Welche gift- und gefahrenstofffreien Materialien dürfen verwendet werden? Welche Sicherheitsvorkehrungen, z.B. vor elektrischem Schlag, müssen getroffen werden? Und was ist aktuell State-of-the-Art bzw. neuester Stand der Wissenschaft in bestimmten Bereichen?

Das gleiche Ziel, aber unterschiedliche Absichten sorgen für Differenzen zwischen Produktmanagement und QA/RA

Zusammen habt ihr also das gleiche Ziel: Ein richtig gutes und erfolgreiches Produkt auf den Markt zu bringen, das echten Mehrwert und Nutzen liefert.

Gemeinsam habt ihr auch das letzte Wort, wenn es darum geht, ob das Produkt final frei gegeben und gelauncht werden kann.

Und genau hier kommt es zu Reibereien zwischen beiden, weil die Intentionen unterschiedlich sind. Das Produktmanagement will Business machen und geht dafür eben gewisse Risiken ein, wie z.B. Kompromisse bei der Dokumentation oder reduzierte Tests. Am Ende kurz vor Launch muss es ja oft schnell gehen, so dass auch kleinere Bugs in Kauf genommen werden.

Bildlich gesprochen fährt das Produktmanagement gerne mal 150 km/h auf der Landstraße, um schneller ans Ziel zu kommen, während QA/RA auf die 100 km/h punktgenau besteht. Denn QA/RA möchte grundsätzlich jede Form von Risiko vermeiden und besteht auf eine astreine Dokumentation, vollständige Tests und möglichst keine Bugs. Kein Wunder, dass sie oft den Ruf haben, pedantisch zu sein.

Partner in Crime statt gegenseitiger Behinderung

Wie kann man sich also auf einen Kompromiss von 120 km/h auf der Landstraße einigen, um einerseits schneller voran zu kommen, andererseits nicht den Führerschein zu riskieren? Wie kann die Zusammenarbeit an der Schnittstelle zwischen Produktmanagement, Quality Assurance und Regulatory Affairs gelingen?

Darüber habe ich schon oft mit meinem Mann Jonathan von Wittern gesprochen und diskutiert. Jonathan ist Senior QA/RA Manager in einem Digital Health Startup und hat gerade mit seinem Team die ISO 13485 Erstzertifizierung erfolgreich bestanden. Gerade auch weil das Unternehmen einen agilen Produktentwicklungsansatz verfolgt, war die Schnittstelle zum Produktmanagement oft Thema.

Wir haben in unserer Zusammenarbeit auch schon vorher viele Learnings gesammelt und reflektiert. Deshalb haben wir gemeinsam ein Meetup diesem Thema gewidmet, um die Diskussionsrunde zu erweitern, Insights zu teilen und Erfahrungen auszutauschen.

Die wichtigsten Punkte fassen wir hier noch mal in einem Interview zusammen:

Warum sollte sich das Produktmanagement unbedingt mit regulatorischen Anforderungen befassen?

Regulatorische Anforderungen sind der minimale Standard, den ein Produkt erfüllen muss. Sie sind die Grundvoraussetzungen und Basisanforderungen an ein Produkt. Durch ihre Erfüllung entsteht keinerlei zusätzlicher Nutzen für Kunden und Anwender oder gar ein Wettbewerbsvorteil. Der entsteht durch die Features und Eigenschaften, die darüber hinaus gehen, durch die Extra-Mile, wenn man so will. Sie verhindern, dass Schrott auf den Markt geworfen wird, der keinen Mehrwert stiftet. Sie repräsentieren den aktuellen Stand der Technik und ein wissenschaftlich anerkanntes Vorgehen, da sie von einem Expertengremium aufgestellt werden. Sie dienen außerdem dem unmittelbaren Schutz von Kunden und Anwender vor elektrischem Schlag, Brandgefahr oder Giftstoffen in den verwendeten Materialien. Sie sind keine nervige Auflage, sondern schützen auch Menschen und Umwelt im Allgemeinen, siehe z.B. die Abgaswerte bei Autos.

Ich glaube, als Produktmanager*in für Produkte oder Service im regulierten Umfeld ist es erst mal wichtig zu verstehen, dass es zum Markteintritt und kontinuierlichen Markangebot dementsprechend ein Recht bedarf. Das Recht überhaupt am Markt sein zu dürfen. Rechte allgemein definieren das Verhalten und den Schutz jedes einzelnen, einer Organisation, einer Gesellschaft, eines Staates und final natürlich der Menschheit als Ganzes. Rechte können aber auch immer nur dann funktionieren, wenn die damit verbundenen Pflichten erbracht werden. Es ist also ein Geben und Nehmen. Deshalb ist es wichtig für jede/n Produktmanager*in, sich selbst mit den relevanten gesetzlichen und regulatorischen Anforderungen auseinander zu setzen. Denn nur wer seinen Markt wirklich versteht, kann diesen auch optimal bedienen.

Natürlich sind die QA/RA Kollegen dafür Spezialisten, die sich hauptsächlich damit beschäftigen und unterstützen können. Trotzdem führt ein gewisses Ignorieren des Themas oft zu Missverständnissen, Verlängerung der Time-to-Market und letztendlich zu Frust.

Meine Empfehlung also an das Produktmanagement im regulierten Umfeld: beschäftige dich selbst bis zu einem gewissen Grad mit rechtlichen und regulatorischen Anforderungen und schaffe eine solide Wissensbasis darüber. Das führt einerseits zu einem besseren gegenseitigen Verständnis und soliderer Planung, und andererseits sorgt es auch dafür, dass man sich im Produktmanagement nicht ständig den Schneid abkaufen lassen muss. D.h. du kannst deine QA/RA Kollegen auch mal challengen und auch für sie ein Sparringpartner sein.

Dann ist es für das Produktmanagement auch wichtig, die Produktarchitektur entsprechend differenzierter zu betrachten?

Ja, eines der ersten Themen, die ich immer wieder anspreche, wenn ich mit neuen Produktmanager*innen in Kontakt trete, ist das Verständnis um die Bestandteile eines Produktes oder Services. Aus meiner Sicht besteht jedes Produkt und jeder Service auf der einen Seite aus Applikation, Funktionalität und Problemlösung und auf der anderen Seite aus der dazugehörigen Dokumentation. Im Produktmanagement sollte man zu gleichen Teilen an beidem interessiert sein, sich für beides einsetzen und auch beides einplanen. Denn nur beides zusammen ermöglicht einen Markteintritt, erzeugt Business Value und bringt einen über den Produktlebenszyklus. Dabei gilt auch hier für die Dokumentation das gleiche wie für Applikation, Funktionalität und Problemlösung – die Dokumentation sollte so gut sein, dass sie Mehrwert stiftet. Das bedeutet, sie sollte den Wissensaustausch verbessern, Wissen konservieren und als „Objektiver Nachweis“ über den Produktlebenszyklus dienen können.

Zur Unterstützung in speziell diesen Themen gibt es natürlich wieder die QA/RA Abteilung als die Spezialisten, aber viel wichtiger – so wie ich diese Rolle auch gerne interpretiere – als Partner für das Produktmanagement. Dafür ist es aber auch wichtig, dass QA/RA über den eigenen Tellerrand hinaus blickt und sich am Business Value und dem Kundennutzen interessiert zeigt.

Wie kann die Sparringpartnerschaft für die Produktqualität gelingen?

Ich glaube, Kommunikation ist hier das Zauberwort, wie so oft. Das Produktmanagement sollte so früh wie möglich QA/RA miteinbeziehen und eine enge Abstimmung und Zusammenarbeit bei der Produkt- oder Serviceentstehung sowie über den gesamten Produktlebenszyklus anstreben. Das kann durch regelmäßige Meetings geschehen, aber natürlich auch oft informell in Pausen, beim Kaffee oder auf dem Flur.

Keine Diskussion sollte es aber bei dieser Partnerschaft zur Verantwortung der Kommunikation zum Produkt oder Service geben. Dass das Produktmanagement die Hoheit über die Kommunikation zum Produkt oder Service innehat, steht für mich außer Frage. Schlechte Nachrichten, Mängel zum Produkt oder Service, auch an der Dokumentation sind in erster Linie an das Produktmanagement heranzutragen und entsprechend ihm die Kommunikation ins Team, an den Sales, den Kunden oder an den Anwender zu überlassen. Darauf sollte aus meiner Sicht jede/r Produktmanager*in unbedingt bestehen.

Welches Fazit ziehst du also für das Produktmanagement?

Gute Grundkenntnisse über rechtliche und regulatorische Anforderungen, damit einhergehend das Verständnis dafür, dass regulatorische Anforderungen auch Nutzeranforderungen sind bzw. Nutzenstiftend sind, die Hoheit über die Kommunikation und einen guten, vertrauensvollen Draht zu QA/RA können für das Produktmanagement Gold wert sein.

Vielen Dank nochmals an Jonathan und alle die beim Meetup dabei waren, für die interessante Diskussion und die wertvollen Fragen, die zum Wissens- und Erfahrungsaustausch geführt haben.

Als Experte zu Gast im Meetup: Jonathan von Wittern (links)

Über Jonathan

Jonathan ist seit über 20 Jahren in der Medizintechnik tätig, einem Bereich, der logischerweise einer strengen Regulierung unterliegt und der gerade mit der Einführung der neuen europäischen MDR (Medical Device Regulation) vor neuen regulatorischen Herausforderungen für viele Produkte steht. Viele Produkte mussten vom Markt genommen werden oder können erst verzögert eingeführt werden. Durchaus relevant für das Produktmanagement.

Jonathan hat bereits 2020 eines der ersten neu entwickelten Medizinprodukte nach neuer MDR registriert und damit gelauncht. Dieses Jahr hat er mit seinem Team die Erstzertifizierung nach ISO 13485 für Medizinprodukte bei einem Digital Health Startup erfolgreich geschafft.

Mehr über ihn erfährst du auf LinkedIn. Wenn du mit uns in Kontakt treten möchtest, dann schreib gerne an hallo@productlounge.net.

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Ich bin Gründerin der
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